WELT: Herr Kirchhoff, in der Autoindustrie häufen sich die Meldungen von Stellenabbau in großem Stil. Wie hart wird der Verdrängungskampf?
Arndt Kirchhoff: Ich bin zuversichtlich, dass die meisten Unternehmen das überleben werden. Der Umsatzrückgang liegt noch bei etwa 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, sowohl in der Autoindustrie als auch in der gesamten Metall- und Elektroindustrie. Das ist enorm und das werden wir nicht aufholen. Aber die Lage beginnt sich allmählich zu erholen, am Arbeitsmarkt gibt es bisher auch dank der Kurzarbeit nur geringe Einbrüche. Das zeigt, dass wir verantwortungsvoll mit den Belegschaften umgehen.
Gerade bei den kleinen und mittelgroßen Zulieferern droht ein massives Sterben. Bis zu ein Drittel der Zulieferer sind Schätzungen zufolge in akuter Schieflage.
Wir werden durchaus Insolvenzen haben. Aber Restrukturieren im Abschwung ist völlig normal. Im Aufschwung kann man nicht umbauen, wenn die Werke ausgelastet sind. Ich hoffe, dass es nicht schlimmer kommt als in früheren Krisen.
Sie sehen die Mischung aus geringerer Nachfrage, Transformation und steigenden Covid-Infektionszahlen also nicht als verschärfte Gefahr für Unternehmen und Beschäftigte?
Wir werden sehen. Viele Unternehmen in der Metall- und Elektroindustrie kommen in kleinen Schritten aus der Kurzarbeit raus, auch die Zulieferer. Im Maschinenbau ist es noch anders, aber auch das wird sich hoffentlich wieder stabilisieren. In NRW fahren derzeit noch 63 Prozent der M+E-Unternehmen Kurzarbeit. Sie senken die Arbeitszeit für knapp 70 Prozent der Mitarbeiter um fast 30 Prozent. Da haben wir noch einen längeren Weg vor uns.
Wer seinen Job verliert, muss die Industrie womöglich verlassen und sich auf sinkende Löhne einstellen. Schätzungen zufolge ist in der Autoindustrie in den kommenden zehn Jahren etwa jeder achte Job bedroht.
In der Produktion sinkt die Zahl der Arbeitsplätze seit Jahren. Wir automatisieren und setzen auf Roboter. Und wer dann in andere Branchen wechselt, wird weniger verdienen. Aber die allermeisten werden in unserer Industrie bleiben können. Es entstehen überproportional viele Jobs in der Steuerung. Wir werden die Leute so umschulen, dass sie dort arbeiten können. Das haben wir immer getan.
Es geht doch zum Teil um komplett andere Berufe. Welche Art von Arbeitskräften sind in Zukunft überflüssig?
In erster Linie sind es die, die einfache Arbeiten erledigen und durch Roboter ersetzt werden können. Maschinenbediener zum Beispiel werden wir auf Dauer nicht mehr beschäftigen.
Wie viele Beschäftigte trifft das in Ihrem Unternehmen?
Jedes Jahr etwa fünf Prozent.
Und was passiert mit denen?
Diese Mitarbeiter setzen wir an anderen Arbeitsplätzen ein, zum Beispiel für Steuerungs- und Projekttätigkeiten. Die schwere Arbeit verschwindet komplett, und das ist gut.
Aber wenn in der Branche Zehntausende von Stellen gestrichen werden, werden doch nicht alle Leute in den Firmen bleiben.
Manche Betroffene werden sich neue Jobs suchen müssen. Doch es wird auch viele neue Jobs geben. Wer bislang am Verbrennungsmotor gearbeitet hat, kann künftig an Elektroautos arbeiten. Wo das nicht geht, brauchen wir Qualifizierung, die auf neue Tätigkeiten vorbereitet.
Sie sind ja sehr optimistisch angesichts der enormen Umwälzungen.
Ich habe zumindest keine Angst, dass wir Mitarbeiter nicht auf neue Jobs vorbereiten können. Ich habe aber Angst, dass wir deindustrialisieren. Wenn wir die Industrie verlieren, verlieren wir die gutbezahlten Arbeitsplätze.
Teil des Problems ist, dass die Autoindustrie sich zu spät auf den Strukturwandel eingestellt hat.
Das ist ein Irrtum. Wir investieren als Automobilindustrie weltweit am meisten in Forschung und Entwicklung. Die Verantwortung liegt bei der Politik. Wenn sie festlegt, dass wir bis 2030 55 oder gar 60 Prozent weniger CO2 ausstoßen und bis 2050 klimaneutral sein sollen, muss sie auch dafür sorgen, dass das möglich ist. Bei den vielen Wenden, die wir machen, muss die Infrastruktur mitwachsen. Sonst kriegen wir hier richtig Theater, und viele Menschen werden ihre Arbeit verlieren.
Was fordern Sie?
Wir brauchen zum Beispiel dringend mehr Wasserstofftankstellen, aktuell sind es nur 75 in der Republik. Und es ist an der Zeit, dass wir die EEG-Umlage abschaffen. Wenn sich die Belastung nicht verringert, haben die Unternehmen und die Belegschaften keine Chance. Da sind wir uns mit der IG Metall im Übrigen einig.
Die nächste Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie steht vor der Tür. Die Gewerkschaft liebäugelt mit der Vier-Tage-Woche. Kommt jetzt die kollektive Arbeitszeitverkürzung?
Nein, das würde nicht passen. Wir haben schon genug Instrumente, um von Fall zu Fall auf die Nachfrageeinbrüche zu reagieren. Und eigentlich hoffen wir ja eh, dass wir bald wieder mehr arbeiten können. Sobald die Konjunktur sich erholt hat, müssen wir übrigens auch wieder Fachkräfte aus dem Ausland zu uns holen können. Das wird aber frühestens ab Mitte 2022 der Fall sein.
Teilweiser Lohnausgleich ist ausgeschlossen?
Wenn nur 28 Stunden gearbeitet wird, zahlen wir natürlich auch nur 28 Stunden. Mehr Lohn für weniger Arbeit halte ich aktuell für absolut unangemessen. Solange die Situation so angespannt ist und wir Konjunkturprogramme haben, sollten die Tarifpartner mit großem Augenmaß in die Tarifrunde gehen und nicht noch Öl ins Feuer gießen.
Was ist mit prozentualen Lohnerhöhungen?
Ich bin in der aktuellen Lage dagegen. Wir zahlen ja jetzt schon die höchsten Löhne. In Nordrhein-Westfalen sind wir im Schnitt bei 56.000 Euro im Jahr, in Baden-Württemberg bei über 60.000 Euro. Wir müssen sehr aufpassen, dass die Arbeit in Deutschland neben den ganzen Belastungen wie hohen Energiekosten nicht noch teurer wird. Da müssen die Gewerkschaften auch einen Beitrag leisten. Sonst sind wir gezwungen, uns bei Neuinvestitionen ins Ausland zu orientieren.
Interview von Christine Haas - Welt