"Sozialpartnerschaft am Scheideweg" - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Präsident Arndt G. Kirchhoff schreibt in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über die anstehende Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie.

 

|   Tarifrunde 2020

Die deutsche Metall- und Elektroindustrie steht in den nächsten Monaten vor der wichtigsten Tarifrunde der letzten Jahre. Von ihrem Ergebnis wird entscheidend abhängen, ob der Flächentarif im für unser Land bedeutendsten Industriezweig eine gute Zukunft hat. Gerade in vielen mittelständischen Unternehmen – bei uns in Nordrhein-Westfalen beschäftigen unsere Mitgliedsbetriebe im Schnitt 200 Mitarbeiter – wird die Frage aufgeworfen, ob sie in der Flächentarifbindung noch richtig aufgehoben sind. Denn unter dem Strich hat die IG Metall mit ihren überbordenden Forderungen Tarifrunden überfrachtet und Abschlüsse erzwungen, aufgrund derer sich immer mehr Betriebe in ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit überfordert sehen. Wenngleich die Konjunktur in den vergangenen Jahren gut lief, waren die Abschlüsse für viele Arbeitgeber in der Summe zu teuer, zudem wurden komplexe Themen oft zu kompliziert reguliert. Insbesondere der Tarifabschluss 2018 ist in diesem Zusammenhang zu nennen.

Da war zunächst die verschärfte Gangart der IG Metall, die offensichtlich aus organisationspolitischen Gründen einige Unternehmen selbst dann noch mit 24-Stunden-Streiks belastete, als man in Stuttgart bereits einer Lösung schon recht nahe war. Wofür eigentlich, haben sich viele Unternehmer gefragt, angesichts von Entgeltzuwächsen von rund 30 Prozent binnen der letzten zehn Jahre und einem jährlichen Durchschnittsverdienst von inzwischen 58.000 Euro in der Branche?

Noch mehr verärgert hat viele Unternehmer, dass die IG Metall mancherorts bei der an betriebliche Voraussetzungen geknüpften Möglichkeit für ausgewählte Beschäftigtengruppen, statt Geld auch acht zusätzliche freie Tage wählen zu können, das Recht auf Antragstellung gleich als tariflichen Anspruch durchsetzen wollte. Diese Auslegung durch die IG Metall hat in vielen Betrieben nicht nur für Unmut, sondern – was noch schlimmer ist – für Unfrieden gesorgt.

Die Gewerkschaft muss endlich verstehen, dass unsere tarifgebundenen Mitglieder vor allem deshalb in unseren Verbänden dabei sind, weil sie sich bisher immer darauf verlassen konnten, dass geschlossene Tarifverträge in ihrer Umsetzung für Ruhe sorgten. Betrieblicher Frieden und eine möglichst lange und verlässliche Planungssicherheit während der Laufzeit eines Vertrages sind jene beiden Assets, die Unternehmen eine freiwillige Mitgliedschaft in einem Tarifträgerverband eingehen lassen. Wenn Betriebe jetzt aber damit rechnen müssen, dass Konflikte durch Tarifabschlüsse noch nicht wirklich beendet sind, weil sie kostenträchtige und zeitaufwändige „Nachspiele“ in den Betrieben haben, dann rüttelt das an den Grundfesten der Akzeptanz des Flächentarifs.

Unsere Sozialpartnerschaft scheint so am Scheideweg – und das ausgerechnet im Jahr eins nach den 100-Jahr-Feiern zur Tarifautonomie in Deutschland. Und dieser Ausblick bereitet mir Sorgen. Nun beklagen Gewerkschaften und Teile der Politik die nachlassende Tarifbindung in Deutschland. Dabei vergessen sie eines: Im Gegensatz zur Pflichtmitgliedschaft in den Kammern sind Arbeitgeberverbände Vereinigungen, die von ihren Mitgliedern freiwillig besucht werden. Das Eintrittsgeld, den Mitgliedsbeitrag, entrichten die Unternehmen aber nur dann, wenn das Produkt gut und attraktiv genug ist. Dieses Gesamtpaket stimmt scheinbar nicht mehr.

Die IG Metall wird sich jetzt entscheiden müssen, ob sie Tarifautonomie als Sozialpartnerschaft begreift oder als Konfliktgegnerschaft ausleben will. Schon viel zu lange unterzieht sie mit einer übermütigen Tarifpolitik unseren für den Wohlstand Deutschlands wichtigsten Industriezweig einem Langzeit-Belastungstest zur Überprüfung seiner internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Dabei haben gerade die Metallarbeitgeberverbände immer wieder Tarifabschlüsse unterschrieben, die nun wirklich für eine faire Teilhabe am wirtschaftlichen Erfolg stehen.

Wenn die IG Metall in den nächsten Tagen in ihren Gremien über die Höhe ihrer Forderungen für die Tarifrunde 2020 diskutiert, dann muss sie auf Signale achten, die sie von vielen Betriebsräten erhalten wird, die die betriebliche Wirklichkeit erleben. Sie wissen um die seit mehreren Quartalen spürbar verschlechterte wirtschaftliche Lage. In einigen Teilbranchen und Unternehmen ist Kurzarbeit wieder an der Tagesordnung. Hinzu kommen riesige Herausforderungen bei der Bewältigung der Transformation in der Automobilindustrie und der Digitalisierung. Und nicht zu vergessen: Auch die völlig ungeklärte Umsetzung der Energiewende führt zu großer Verunsicherung in allen Industrieunternehmen, die auf eine bezahlbare und zu jeder Sekunde sichere Stromversorgung zwingend angewiesen sind. Das alles macht den Verteilungsspielraum objektiv erheblich kleiner.

Verantwortungsvolle Tarifpolitik hat sich immer durch das Geleitzug-Prinzip ausgezeichnet. Die Gewerkschaft, vor allem aber die Betriebsräte, wissen ganz genau, dass nicht die Situation der Schnellboote unter den Verbandsmitgliedern das Maß der Dinge sein darf. Sonst sind die Durchschnittsverdiener im Konvoi schnell abgehängt. Geschieht dies, ist die Akzeptanz des Flächentarifs im Arbeitgeberlager gefährdet. Deshalb müssen Tarifergebnisse, auch das ist keine neue Erkenntnis, von denen umgesetzt werden können, denen es wirtschaftlich weniger gut geht. Abschlüsse müssen in allererster Linie mittelstandstauglich sein. Ich hoffe sehr, dass die Tarifrunde 2020 hier das richtige Zeichen setzen kann.

Von Arndt G. Kirchhoff
Präsident des Verbandes der Metall- und Elektro-Industrie Nordrhein-Westfalen e.V. (METALL NRW)

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