"In herausfordernden Zeiten wie diesen steht die deutsche Metall- und Elektroindustrie vor einer enorm schwierigen Tarifrunde. Die Lage ist in den vielen Branchen und Unternehmen unseres Industriezweigs so heterogen wie nie zuvor. Manche Betriebe schreiben rezessionsbedingt schon länger tiefrote Zahlen und haben durch die Corona-Pandemie eine gewaltige Zusatzlast auf ihren ohnehin schon schweren Rucksack gepackt bekommen. Ganz viele Firmen etwa in der Automobil- und Zulieferindustrie müssen hohe Investitionen durch die große Herausforderung der Transformation stemmen und obendrein – wie unsere Industrie insgesamt – auch die hohen Kosten der Energiewende schultern. Andere Unternehmen wie etwa aus der Medizintechnik melden hingegen – auch pandemiebedingt – erfreulich gute Geschäfte.
Als wir in Nordrhein-Westfalen im März dieses Jahres unter dem Eindruck der hereinbrechenden Pandemie den Pilot-Abschluss für die deutsche M+E-Industrie zusammengezimmert haben, waren wir uns mit der IG Metall einig, angesichts der großen Unsicherheit über die weitere wirtschaftliche Entwicklung tarifpolitisch alles zu tun, um so viele Mitarbeiter wie möglich in unseren Betrieben zu halten. Ein gutes halbes Jahr später können wir sagen, dass unser gemeinsames Krisenmanagement dabei geholfen hat: Obwohl Aufträge, Produktion und Umsätze vielerorts mit zweistelligen Minusraten in den Keller gerasselt sind, konnte die Beschäftigung – auch dank umfangreicher Kurzarbeitsregelungen – mit einem vergleichsweise geringen Minus von 2,1 Prozent weitgehend stabil gehalten werden.
Gelingen konnte dies auch deshalb, weil Unternehmen von weiteren tariflichen Kostenbelastungen verschont blieben. Wir alle haben uns über die spürbare Erholung der Industrie im dritten Quartal gefreut, doch die zweite Welle der Epidemie hat jetzt erneut zu politischen Entscheidungen geführt, die das Wirtschaftsleben in unserem Land massiv einschränken. Und in wichtigen Partnerländern wie Frankreich, Italien, Spanien oder Großbritannien ist die Lage noch gefährlicher. Das alles zeigt: An der grundsätzlichen labilen wirtschaftlichen Lage wird sich solange nichts ändern, bis wirksame Impfstoffe und Medikamente zur erfolgreichen Behandlung von Covid 19 zugelassen sind. Und solange bleiben leider auch die Vorbehalte in ökonomischen Prognosen bestehen, die in diesen Tagen den so notwendigen Optimismus versprühen wollen.
Die tarifpolitische Antwort auf diese Gemengelage kann aus meiner Sicht nur lauten, den Kurs aus dem März beizubehalten. Nach wie vor befinden sich viele Betriebe unserer Industrie im Überlebenskampf, haben massiv Eigenkapital verloren und müssen erhebliche Liquiditätsengpässe überwinden. Es ist eine Lage, die nun wirklich nicht nach zusätzlichen Belastungen schreit. Auch daher ist das tarifpolitische Signal, das die Gewerkschaft jetzt mit ihrer Forderung im Volumen von vier Prozent an unsere tarifgebundenen Unternehmen sendet, so schlimm.
Ihr Vorschlag, zur Beschäftigungssicherung die Arbeitszeit mit einem Teillohnausgleich zu reduzieren, führt zu einer Steigerung der Lohnstückkosten in den Unternehmen. Tarifvereinbarungen nach diesem Muster werden den Druck auf die Arbeitsplätze eher noch erhöhen. Betriebe, die angesichts von Transformation und Digitalisierung ohnehin vor massiven strukturellen Veränderungen stehen, müssen ihre Personalpolitik jetzt noch intensiver auf den Prüfstand stellen. Die IG Metall sollte sich schleunigst überlegen, ob sie einer solchen Entwicklung tatsächlich Vorschub leisten will. Es ist höchste Zeit für eine Korrektur."
Der Gastbeitrag erschien am 2. Dezember 2020 in der Verbandszeitung [unternehmen!]. Hier geht es zur Ausgabe 03/2020.